1. Einleitung
  2. Inklusion – Eine Begriffsbestimmung
  3. Aktuelle Praxis - Wie sieht es in der Schulsozialarbeit in Schleswig-Holstein aus?
  4. Ausblick – Wünsche aus Sicht der Schulsozialarbeit

 

  1. Einleitung

Inklusion ist in den letzten Jahren ein wichtiges Thema in der Umsetzung von Schulsozialarbeit geworden und fordert uns täglich aktiv heraus. Die vorliegenden Ausführungen stellen daher unser professionelles Verständnis von Inklusion und unsere derzeitige Perspektive dar. Dieser Blick aus schulsozialarbeiterischer Praxis heraus auf den Inklusionsprozess zeigt, dass es kurz-, mittel- und langfristig sicherlich noch viele Hindernisse, Grenzen und Vorurteile zu bearbeiten gibt, damit Inklusion nachhaltig gelingen kann. An dieser Stelle kann Schulsozialarbeit einen wirksamen Beitrag leisten. Ein zentraler Wunsch unsererseits ist daher der nach einer weiterhin konstruktiven und fachlichen Diskussion, die bestehende Hindernisse nicht negiert, sondern aktiv einbezieht und die dabei hilft, vorhandene Strukturen im Sinne aller Beteiligten kontinuierlich zu verbessern. Zudem benötigen die Schulen vor Ort Ressourcen, um Barrieren nachhaltig beseitigen und vorhandene Strukturen verändern zu können.

 

  1. Inklusion – Eine Begriffsbestimmung

Bereits seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft, die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde und somit selbstverständlich von ihr umgesetzt werden muss. Wir orientieren uns daher in den weiteren Ausführungen an der von der UN-BRK vorgenommenen Definition von Behinderung: „Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ (Artikel 1, Satz 2, UN-BRK). Für uns als Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter bedeutet dies auch, dass wir uns in der Schule aktiv mit den bestehenden Inklusions- und Exklusionsfaktoren auseinandersetzen, sie reflektieren und dabei helfen, sie zu bearbeiten.

Inklusion bedeutet Zugehörigkeit und ist somit das Gegenteil von Ausgrenzung. So heißt es beispielsweise im Fachlexikon der Sozialen Arbeit im Artikel Inklusion: „Das Wort kommt aus dem Lateinischen (inclusio – Einschluss) und bedeutet Einbeziehung und unbedingte Zugehörigkeit. Inklusion geht von einer grundsätzlich heterogenen Gesellschaftsstruktur aus (Diversity).“ (Niehoff 2011). Nach der Definition der Aktion Mensch klingt dies so: „Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Jeder kann mitmachen. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“ (Homepage der Aktion Mensch). Der Normalzustand sollte demnach sein, dass es Verschiedenheit (Diversity) gibt. Verschiedenheit im Sinne von Managing Diversitiy meint nicht nur, Verschiedenheit als solche anzuerkennen, sondern auch Verschiedenheit als positive Ressource zu nutzen. Katharina Walgenbach definiert Diversity zum Beispiel folgender Maßen: „Diversity zielt auf die Wertschätzung sozialer Gruppenmerkmale bzw. -identitäten für Organisationen. Diversity-Merkmale werden als positive Ressource für Bildungsorganisationen gesehen. Die Vielfalt der Organisationsmitglieder erhält somit Anerkennung. Das pädagogische Ziel ist der positive Umgang mit Diversity sowie die Entwicklung von Diversity-Kompetenzen.“ (Walgenbach 2014, S. 92). Sie bezieht sich also selbstverständlich nicht nur auf Menschen mit Behinderung, sondern auch entsprechend zu Artikel 3 Grundgesetz auf z.B. Ethnie, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit. Da das Thema der Inklusion an Schulen aktuell aber insbesondere Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in den Fokus rückt, wollen wir dies auf Grund unserer Alltagsbezüge in diesen Ausführungen auch so fokussieren.

Wir als Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter können als Grundlage unserer Arbeit diese Definitionen von Behinderung, Diversitiy und Inklusion an den Schulen des Landes Schleswig-Holstein teilen. Sie ergänzen sowohl den rechtlichen Rahmen aus dem Sozialgesetzbuch VIII, das einen zentralen Bezugspunkt in der Arbeit der Schulsozialarbeit darstellt, als auch das Schulgesetz Schleswig-Holsteins.

In den 16 Bundesländern ist man in der Umsetzung der UN-BRK bisher unterschiedlich weit gekommen, in vielen Bundesländern sind Förderschulen bereits aufgelöst worden und die Kinder und Jugendlichen besuchen Regelschulen in ihrer näheren Umgebung. Aktuell wird daran gearbeitet, die Inklusion an Schulen nachhaltig umzusetzen. Eine nicht unerhebliche Gruppe der Förderschülerinnen und Förderschüler verbleibt weiterhin an speziellen Förderschulen.

In Schleswig-Holstein wurde die Landesregierung 2014 aufgefordert, einen Bericht zur Umsetzung der Inklusion an Schulen abzugeben und in einem Konzept Schrittfolgen festzulegen. 2016 wurde dieses Konzept in einer Ist-Stands-Erhebung überprüft (vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag 2014 und 2016).

  1. Aktuelle Praxis - Wie sieht es in der Schulsozialarbeit in Schleswig-Holstein aus?

Allgemein lässt sich festhalten, dass Inklusion in den Schulen angekommen ist, jedoch nach individuellen Begebenheiten vor Ort sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Schulsozialarbeit ist landesweit als Teil von multiprofessionellen Teams ein wichtiger Faktor an Schulen zur Umsetzung von Inklusion und wird entsprechend vor Ort an den Schulen vielfach individuell eingebunden, zum Beispiel durch:

  • Fachberatung für Beteiligte (Schülerinnen und Schüler, Erziehungsberechtigte, Lehrkräfte, Schulleitung usw.)
  • Mitwirkung am konkreten Einzelfall (Berichte anfertigen, Mitwirkung am Hilfeplangespräch, Fallkoordination, Zusammenarbeit mit Ämtern, Umsetzung von konkreten Hilfen, usw.)
  • Netzwerkarbeit
  • Mitwirkung an (schulischen) Konzepten
  • Angebote konzipieren und durchführen (z.B. Implementierung von Beteiligungsprojekten, Projektarbeit, Krisenintervention, Themenelternabend)

Nach einem Artikel im Sozialmagazin (Holtbrink 2015) ist es bedeutsam, wie sich jeder persönlich zu dem Thema Inklusion einbringt, wobei multiprofessionelle Teams Voraussetzung sind. Dies ist auch unsere Erfahrung in der Schulsozialarbeit. Zudem spielen die Haltung und das Engagement der Schulleitung eine bedeutsame Rolle für die Prozessgestaltung von Inklusion an den einzelnen Schulen und beeinflussen entsprechend auch unseren Beitrag aus der Schulsozialarbeit. Die multiprofessionellen Teams bestehen in der Regel aus Regelschullehrkraft, Sonderpädagogen und -pädagoginnen, Schulsozialarbeit und zum Teil Schulassistenz, schulische Erziehungshilfe sowie Integrationshilfe bzw. Schulbegleitung (= HzaS = Hilfe zur angemessenen Schulbildung).

Eine systemimmanente Herausforderung ist die Arbeit in multiprofessionellen Teams, da oft zu klären ist, wer wann und wie den „Hut aufhat“ und wie Informations- und Kommunikationswege zu gestalten sind. Der Schulsozialarbeit kommt dabei häufig die Rolle zu, das Kind bzw. den Jugendlichen ganzheitlich zu betrachten und alle beteiligten Helfersysteme an einem Runden Tisch zu vereinen. Relevant ist dabei, sich seiner eigenen professionellen Rolle und Verantwortung bewusst zu sein und sich von den anderen Professionen klar abzugrenzen, da die Aufgabenbereiche sich nicht selten überschneiden.

Hauptzielgruppe der Schulsozialarbeit sind alle (jungen) Menschen in der Schule. Dadurch, dass Schülerinnen und Schüler mit Behinderung in der Schule sind, ergeben sich durch die Umsetzung von Inklusion daher grundsätzlich keine Änderungen bezüglich der individuellen Begleitung von Schülerinnen und Schülern durch die Schulsozialarbeit. Bereits seit 2009 hat der Landesarbeitskreis Schulsozialarbeit in Schleswig-Holstein in seinen Standards festgelegt, dass Schulsozialarbeit integrativ bzw. inklusiv arbeitet. Allerdings hat die Umsetzung von Inklusion in den letzten Jahren Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Schulgemeinschaft, die Kooperation in der Gesamtklasse, mit den Lehrkräften und mit den Erziehungsberechtigten. Angebote der Schulsozialarbeit (präventiv, intervenierend, individuell, in Gruppen, …) können daher konstruktiv zu einer gelingenden Umsetzung der UN-BRK beitragen.

 

  1. Ausblick – Wünsche aus Sicht der Schulsozialarbeit

Es wird deutlich, dass Inklusion an Schulen einen Prozess beschreibt, der im Grunde noch sehr am Anfang steht. Für ein langfristig erfolgreiches Umsetzen von Inklusion an Schulen erscheint es uns unerlässlich, im weiteren Prozessverlauf konstant und regelmäßig sowohl über Gelingensfaktoren (öffentlich) zu diskutieren als auch Faktoren zu benennen, die einer erfolgreichen Umsetzung von Inklusion entgegenwirken. Schulsozialarbeit als Schnittstellenprofession kann dabei einen wichtigen Beitrag leisten. Wir wünschen uns daher, auch über eventuelle Grenzen von Inklusion diskutieren zu dürfen, ohne als Inklusionsgegnerinnen und -gegner zu gelten. Im Gegenteil ist es notwendig, auch kritische Blickwinkel konstruktiv in den Prozess einzubinden. Uns ist Inklusion sehr wichtig! In der Praxis stoßen wir allerdings immer wieder an Grenzen, beispielsweise auf Grund von Unkenntnissen beteiligter Personen oder lange bestehender Strukturen.

Wichtig sind daher Mediations- und Supervisionsmöglichkeiten sowie Fortbildungen zur Stärkung der Fachkräfte in der täglichen Arbeit mit allen Beteiligten und Professionen des inklusiven Systems. Dies gilt insbesondere dann, wenn Konflikte auftreten.

Wir möchten betonen, dass für uns Inklusion „nur“ ein Blickwinkel von vielen unserer Arbeit ist, von dem aus wir agieren und die Schülerinnen und Schüler begleiten. Wichtig ist uns, dass wir alle Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene in ihrer individuellen Gesamtheit berücksichtigen und entsprechend unserem Auftrag in der Schule begleiten und unterstützen.

Sowohl die Schülerinnen und Schüler mit psychischen als auch mit sozial-emotionalen oder traumatischen Beeinträchtigungen finden aus unserer Sicht bislang zu wenig Berücksichtigung bei der Umsetzung von Inklusion.

Auch finden die Übergänge in die Beruflichen Schulen, die Regionalen Berufsbildungszentren und die Berufsbildungszentren des Landes und die dortige Umsetzung von Inklusion bisher zu wenig Berücksichtigung. (Vgl. beispielsweise dazu das Gutachten zum Übergang Schule – Beruf von Baethge u.a., Februar 2017).

Da das Inklusionskonzept langfristig angelegt ist, wird man auch in der kommenden Zeit weiter auf Grenzen und Vorurteile stoßen, mit denen wir umgehen und die wir abbauen müssen. Dies könnte ein zentraler Aspekt sein, den Schulsozialarbeit im Rahmen der multiprofessionellen Teams für Inklusion leistet.

Inklusion kann nur funktionieren, wenn Schulsozialarbeit selbst in ein multiprofessionelles Team „inkludiert“ ist und gute Rahmenbedingungen und entsprechend ausreichende Ressourcen vorhanden sind. Ein zentraler Wunsch ist daher der nach einer gut reflektierten Verteilung von Ressourcen. Inklusion an Schule stellt sich derzeit so dar, dass die betroffenen Personen zunächst durch aufwendige, individuelle und zeitintensive Diagnoseverfahren geprüft werden, bevor entsprechende Unterstützungsleistungen in Form von Personalstunden und weiteren materiellen Ressourcen nach Beantragung und individuell zur Verfügung gestellt werden. Aus unserer Sicht bedarf es für jede Schule verfügbarer Ressourcen, die ihr einen Abbau von verschiedenen Barrieren wirksam ermöglichen und dabei helfen, neue Strukturen zu schaffen, um eine nachhaltige Inklusion zu ermöglichen. Dieser Paradigmenwechsel könnte dazu beitragen, Verschiedenheit als erwünschten „Normalzustand“ anzustreben und als Ressource zu verstehen.

 

 

  1. Literatur und Internetquellen:

Baethge, Martin/ Buss, Klaus-Peter/ Richter, Maria: Gutachten zum Übergang Schule-Beruf in

Schleswig-Holstein – unter besonderer Berücksichtigung der Inklusion von Menschen mit

Benachteiligungen und Behinderungen. Expertise im Auftrag des Ministeriums für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein.

Göttingen 2017.

Holtbrink, Laura: Neue Herausforderungen für die Schulsozialarbeit im Rahmen des Inklusionsprozesses. In: Sozialmagazin 11-12/2015, S. 30-38.

Homepage Aktion Mensch: Definition und Bedeutung. Was ist Inklusion?

https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion

(zuletzt aufgerufen am 26.11.2018).

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Bericht der Landesregierung – Inklusion an Schulen. Drucksache 18/2065, 26.8.2014, http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/2000/drucksache-18-2065.pdf (Abruf am 26.11.2018)

Schleswig-Holsteinischer Landtag: „Inklusion an Schulen“. Umsetzung, Arbeitsschwerpunkte, nächste Schritte. Drucksache 18/5395, Januar 2016, https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/I/inklusion_schulische/Downloads/Inklusion_Arbeitspapier.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (Abruf am 26.11.2018)

Niehoff, Ulrich: Inklusion. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.): Fachlexikon der Sozialen Arbeit.

Baden-Baden 2011, 7. Auflage, S. 447-448.

Walgenbach, Katharina: Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft.

Opladen und Toronto 2014.

 

LAK Schulsozialarbeit Schleswig-Holstein, November 2018